8.12.19

Europäische TheaterpädagogInnen im internationalen Austausch


Mit neuen Mitteln in die Politik:



Vom Theater der Unterdrückten zum Legislativen Theater

Europäische TheaterpädagogInnen im internationalen Austausch

Zwei Arbeitswochen zur Anwendung neuer Demokratie-Formen aus dem Theater

1. Woche im Internationalen Tagungshaus Deinsdorf 4.-9. Juni 1996

Austausch und Vorbereitung

Erfahrungen in der europäischen und brasilianischen Theaterarbeit mit dem Theater der Unterdrückten: Workshops, politische Bildung, politische Arbeit in Schulen und Berufsfortbildungen, in dramatischer Arbeit und Therapie

Systematisierung der nun gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamer Entwurf neuer Anwendungen des Legislativen Theaters hierzulande

2. Woche in verschiedenen Einrichtungen in Nürnberg 10.-15. Juni ´96

Workshops und Anwendungsversuche

Workshops für Interessierte in verschiedenen Einrichtungen, öffentlich
Arbeit mit Räten und Parlamentariern, Initiativen, Organisationen, Verwaltung und PolitikerInnen, mit Presse und Einrichtungen /MultiplikatorInnen der politischen Bildung

Auswertung und Dokumentation

Vorgeschichte

Beim 1. Europäischen Treffen von TheaterpädagogInnen mit den Methoden des Theater der Unterdrückten 12.-14. Oktober 1995 in München und Gauting wurde eine intensivere inhaltliche Zusammenarbeit vereinbart, die vor allem der Übertragung der Erfahrungen mit dem Legislativen Theater in Brasilien, die in Deutschland bisher beinahe unbekannt sind, dienen soll.

Im Gegensatz zu den Methoden des Theater der Unterdrückten, die ihre Verbreitung bis in die Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch in Bereiche der Sozialarbeiter- und LehrerInnenausbildung gefunden haben, ist in Deutschland wenig von der derzeitigen Arbeit Augusto Boals in Rio de Janeiro bekannt:

Augusto Boal hatte nach der Rückkehr aus dem europäischen Exil in der Arbeit mit seiner Gruppe eher ungewollt das Mandat eines Vereador, eines Ratsherrn der Stadt Rio de Janeiro errungen, und konnte als “Kabinett” zur Mitarbeit seine Theatergruppe anstellen. Über eine “Metabolicing Cell” (Austauschgruppe mit RechtsanwältEn und Verwaltungsfachleuten) gehen die Themen des Rathauses an die Stadtteil- und thematischen Fachgruppen, die diese wiederum in Szenen für ihre Umgebung umsetzen.
Im Forum-Theater liegt der Schwerpunkt der Handlung beim Publikum: Es soll verschiedene Lösungsmöglichkeiten für eine unbefriedigende Szene finden und in Bildern und Handlungen diskutieren. Das Publikum wird zum Akteur der eigenen Ideen, die Theaterleute fordern immer wieder neue Möglichkeiten heraus. 
 
Im gegenseitigen Vorspielen unter den Gruppen (dialoging), auf Festivals und mit der Austauschgruppe werden die Erfahrungen und Anstöße systematisiert und in Vorlagen der Verwaltung und des Stadtrates umgearbeitet. Damit gehen die Ideen von der bewußtseinsbildenden Auseinandersetzung über die Systematisierung bis zur forschenden Arbeit und zur politischen Willensbildung weiter. 
 
Eine kleinere Form ist die schlichte Befragung: Wie soll Boal in dieser Frage entscheiden, was würden Sie an seiner Stelle tun? Das Gefühl der Mitwirkung in der Demokratie kann nur durch Mit-Denken und Mit-Entscheiden entwickelt werden.

Übertragung
Um Konzepte mit hiesigen möglichen Anwendern zu entwickeln, ist ausführliche Vorarbeit nötig. Neben der Kenntnis der grundlegenden Methoden des Theater der Unterdrückten (Suhrkamp-TB seit 19791) und seiner Anwendung in der pädagogischen Praxis (Neuroth, 19942) ist die Breite der verschiedenen Einsatzbereiche und -Möglichkeiten in Schule und Flüchtlingsarbeit, Fremdsprachenvermittlung und Körpertherapie zu vermitteln.

Grundlage dazu kann ein Themenheft der Paulo-Freire-Gesellschaft in der Zeitschrift für befreiende Pädagogik sein, das im Januar ´96 erscheinen und die Erfahrungen der verschiedenen europäischen Anwender zusammentragen wird.

Zum Transfer der neuen Methoden ist aber ein intensiver Austausch mit den brasilianischen MitarbeiterInnen Augusto Boals nötig, damit auch die Einzelheiten der alltäglichen Praxis vor Ort entsprechend erfragt werden können.

Damit die Tagung schon fundiert beginnen kann, sollte dazu Material zusammengestellt werden, das mögliche Fragestellungen und Anknüpfungspunkte hierzulande enthält.
Nürnberg ist als Standort günstig, weil hier vor Jahren intensiv auch an den Kammerspielen mit Augusto Boal gearbeitet worden war und über die Jahre in verschiedenen Initiativen die Methodik weiter angewandt wurde. Das Interesse verschiedener, auch städtischer Einrichtungen und der Räte in Städten im Umkreis, zumindest etlicher PolitikerInnen dürfte hier leichter zu wecken sein. Eine Interessensmeldung aus dem Europa-Parlament liegt bereits vor.

Ob die Übertragung der belebenden Demokratie-Gedanken aus der brasilianischen Aufbruchs-Situation in unsere hilflose Sattheit und Wahnehmungs-Überforderung, unterlegt mit depressiver Hoffnungslosigkeit, gelingen kann, hängt von vielen Faktoren, aber nicht zuletzt von der Begeisterungsfähigkeit dieser Methoden ab. Eine wissenschaftliche Begleitung wäre dabei sicher eine nachhaltige Hilfe.


Fritz Letsch

Mögliche KooperationspartnerInnen:
Regenbogen Bayern
Fränkisches Bildungswerk für Friedensarbeit
Internationales Tagungshaus Deinsdorf
Theaterpädagogisches Zentrum Nürnerg
Kulturreferat der Stadt Nürnberg
1 Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, inzwischen ergänzt seit 1989 mit “Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler, Suhrkamp Frankfurt
2 Simone Neuroth: Augusto Boals “Theater der Unterdrückten” in der pädagogischen Praxis, Deutscher Studien-Verlag 1994

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