Mit neuen Mitteln in die
Politik:
Vom Theater der
Unterdrückten zum Legislativen Theater
Europäische
TheaterpädagogInnen im internationalen Austausch
Zwei Arbeitswochen zur
Anwendung neuer Demokratie-Formen aus dem Theater
1. Woche im Internationalen
Tagungshaus Deinsdorf 4.-9. Juni 1996
Austausch und Vorbereitung
Erfahrungen in der
europäischen und brasilianischen Theaterarbeit mit dem Theater der
Unterdrückten: Workshops, politische Bildung, politische Arbeit in
Schulen und Berufsfortbildungen, in dramatischer Arbeit und Therapie
Systematisierung der nun
gemeinsamen Erfahrungen und gemeinsamer Entwurf neuer Anwendungen des
Legislativen Theaters hierzulande
2. Woche in verschiedenen
Einrichtungen in Nürnberg 10.-15. Juni ´96
Workshops und
Anwendungsversuche
Workshops für Interessierte
in verschiedenen Einrichtungen, öffentlich
Arbeit mit Räten und
Parlamentariern, Initiativen, Organisationen, Verwaltung und
PolitikerInnen, mit Presse und Einrichtungen /MultiplikatorInnen der
politischen Bildung
Auswertung und Dokumentation
Vorgeschichte
Beim 1. Europäischen Treffen
von TheaterpädagogInnen mit den Methoden des Theater der
Unterdrückten 12.-14. Oktober 1995 in München und Gauting wurde
eine intensivere inhaltliche Zusammenarbeit vereinbart, die vor allem
der Übertragung der Erfahrungen mit dem Legislativen Theater in
Brasilien, die in Deutschland bisher beinahe unbekannt sind, dienen
soll.
Im Gegensatz zu den Methoden
des Theater der Unterdrückten, die ihre Verbreitung bis in die
Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch in Bereiche der
Sozialarbeiter- und LehrerInnenausbildung gefunden haben, ist in
Deutschland wenig von der derzeitigen Arbeit Augusto Boals in Rio de
Janeiro bekannt:
Augusto
Boal hatte nach der Rückkehr aus dem europäischen Exil in der
Arbeit mit seiner Gruppe eher ungewollt das Mandat eines Vereador,
eines Ratsherrn der Stadt Rio de Janeiro errungen, und konnte als
“Kabinett” zur Mitarbeit seine Theatergruppe anstellen. Über
eine “Metabolicing Cell” (Austauschgruppe mit RechtsanwältEn und
Verwaltungsfachleuten) gehen die Themen des Rathauses an die
Stadtteil- und thematischen Fachgruppen, die diese wiederum in Szenen
für ihre Umgebung umsetzen.
Im Forum-Theater liegt der
Schwerpunkt der Handlung beim Publikum: Es soll verschiedene
Lösungsmöglichkeiten für eine unbefriedigende Szene finden und in
Bildern und Handlungen diskutieren. Das Publikum wird zum Akteur der
eigenen Ideen, die Theaterleute fordern immer wieder neue
Möglichkeiten heraus.
Im
gegenseitigen Vorspielen unter den Gruppen (dialoging), auf Festivals
und mit der Austauschgruppe werden die Erfahrungen und Anstöße
systematisiert und in Vorlagen der Verwaltung und des Stadtrates
umgearbeitet. Damit gehen die Ideen von der bewußtseinsbildenden
Auseinandersetzung über die Systematisierung bis zur forschenden
Arbeit und zur politischen Willensbildung weiter.
Eine kleinere Form ist die
schlichte Befragung: Wie soll Boal in dieser Frage entscheiden, was
würden Sie an seiner Stelle tun? Das Gefühl der Mitwirkung in der
Demokratie kann nur durch Mit-Denken und Mit-Entscheiden entwickelt
werden.
Übertragung
Um Konzepte mit hiesigen
möglichen Anwendern zu entwickeln, ist ausführliche Vorarbeit
nötig. Neben der Kenntnis der grundlegenden Methoden des Theater der
Unterdrückten (Suhrkamp-TB seit 19791)
und seiner Anwendung in der pädagogischen Praxis (Neuroth, 19942)
ist die Breite der verschiedenen Einsatzbereiche und -Möglichkeiten
in Schule und Flüchtlingsarbeit, Fremdsprachenvermittlung und
Körpertherapie zu vermitteln.
Grundlage dazu kann ein
Themenheft der Paulo-Freire-Gesellschaft in der Zeitschrift
für befreiende Pädagogik sein, das im
Januar ´96 erscheinen und die Erfahrungen der verschiedenen
europäischen Anwender zusammentragen wird.
Zum
Transfer der neuen Methoden ist aber ein intensiver Austausch mit den
brasilianischen MitarbeiterInnen Augusto Boals nötig, damit auch die
Einzelheiten der alltäglichen Praxis vor Ort entsprechend erfragt
werden können.
Damit
die Tagung schon fundiert beginnen kann, sollte dazu Material
zusammengestellt werden, das mögliche Fragestellungen und
Anknüpfungspunkte hierzulande enthält.
Nürnberg ist als Standort
günstig, weil hier vor Jahren intensiv auch an den Kammerspielen mit
Augusto Boal gearbeitet worden war und über die Jahre in
verschiedenen Initiativen die Methodik weiter angewandt wurde. Das
Interesse verschiedener, auch städtischer Einrichtungen und der Räte
in Städten im Umkreis, zumindest etlicher PolitikerInnen dürfte
hier leichter zu wecken sein. Eine Interessensmeldung aus dem
Europa-Parlament liegt bereits vor.
Ob
die Übertragung der belebenden Demokratie-Gedanken aus der
brasilianischen Aufbruchs-Situation in unsere hilflose Sattheit und
Wahnehmungs-Überforderung, unterlegt mit depressiver
Hoffnungslosigkeit, gelingen kann, hängt von vielen Faktoren, aber
nicht zuletzt von der Begeisterungsfähigkeit dieser Methoden ab.
Eine wissenschaftliche Begleitung wäre dabei sicher eine nachhaltige
Hilfe.
Fritz Letsch
Mögliche
KooperationspartnerInnen:
Regenbogen Bayern
Fränkisches Bildungswerk für
Friedensarbeit
Internationales Tagungshaus
Deinsdorf
Theaterpädagogisches Zentrum
Nürnerg
Kulturreferat der Stadt
Nürnberg
1
Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, inzwischen ergänzt seit
1989 mit “Übungen und Spiele für Schauspieler und
Nicht-Schauspieler, Suhrkamp Frankfurt
2
Simone Neuroth: Augusto Boals “Theater der Unterdrückten” in
der pädagogischen Praxis, Deutscher Studien-Verlag 1994